Die Känguru Chroniken by Kling Marc-Uwe

Die Känguru Chroniken by Kling Marc-Uwe

Autor:Kling, Marc-Uwe [Marc-Uwe Kling]
Die sprache: deu
Format: epub, mobi
ISBN: 9783548920771
Herausgeber: Ullstein Taschenbuch


»Wer seine Unterschrift nicht gegeben hat,

wer kein Bild hinterließ

Wer nicht dabei war, wer nichts gesagt hat

Wie soll der zu fassen sein? Verwisch die Spuren!«

Bertolt Brecht »Aus dem Lesebuch für Städtebewohner«

»Nä. Mach ich nicht«, sagt das Känguru.

»Wieso nicht?«, frage ich verärgert. »Wenn du hier Mitglied wirst, können wir die DVDs umsonst ausleihen.«

Das Känguru schüttelt den Kopf. Seit zwei Stunden sind wir schon in dieser Videothek, weil das Känguru Geburtstag hat und gerne einen Videoabend machen möchte. Es war schon ein Drama, uns auf die Filme zu einigen, und jetzt noch das.

»Ich weigere mich«, sagt das Känguru. »Ich werde nirgends Mitglied. Ich will in keine Kundendatenbank. Ich will nicht, dass der Staat weiß, welche Filme ich kucke.«

Ich blicke auf die DVDs in meiner Hand. »Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle« und »Das Krokodil und sein Nilpferd«.

»Du willst nicht, dass der Staat weiß, dass du Bud-Spencer-Filme kuckst?«, frage ich, und meine Augenbraue zieht sich nach oben.

»Es geht ums Prinzip«, sagt das Känguru. »Ich bin unsichtbar. Ich zahle zum Beispiel auch nie mit Karte.«

»Du gehst ja, soweit ich weiß, sogar noch einen Schritt weiter«, sage ich anerkennend, »und bezahlst überhaupt nie.«

»Ich bin unsichtbar«, sagt das Känguru. »Ich bin nirgends gemeldet, ich sammle keine Meilen, bin nicht im Känguru-VZ und habe auch keinen Amazon-Wunschzettel! Ich bin unsichtbar.«

»Ja, ja«, sage ich. »Unsichtbar. Wenn du mich anrufst, erkenne ich das sofort, weil du der Einzige bist, bei dem ›Rufnummer unterdrückt‹ im Display steht.«

»Leih du doch die Filme über deine Karte aus«, sagt das Känguru.

»Ich muss sie aber bezahlen«, sage ich.

»Das ist es mir wert«, sagt das Känguru. »Tu mir doch den Gefallen, weil ich heute Geburtstag habe.«

»Du hast doch gar nicht wirklich Geburtstag!«, rufe ich. Das Känguru feiert nämlich jedes Jahr an einem anderen, zufällig gewählten Tag Geburtstag, um die Spitzel zu verwirren.

»Das ist gar nicht so sicher«, sagt das Känguru. »Vielleicht habe ich heute wirklich Geburtstag. Ich weiß nämlich selbst nicht mehr, wann ich tatsächlich Geburtstag habe. Das ist die einzige Möglichkeit, sich wirksam zu schützen. Indem man vergisst.«

»Dann muss ich mir ja keine Sorgen machen«, sage ich. »Äh … Worüber haben wir gerade geredet?«

»Du machst dich drüber lustig …«, sagt das Känguru, »… aber nur bis sie dich verhaften. Natürlich nicht, weil du dir zum zehnten Mal ›Die fetten Jahre sind vorbei‹ ausgeliehen hast, sondern weil deine Steuererklärung Unregelmäßigkeiten aufweist. Natürlich nicht, weil du dir das anarchistische Kochbuch bei Amazon bestellt hast – was ja in sich schon eine Hirnrissigkeit sondergleichen darstellt –, sondern weil du illegal Musik herunterlädst.«

»Macht doch jeder«, sage ich.

»Genau!«, sagt das Känguru. »Das ist ja überhaupt der Witz hinter dieser Kombination aus totaler Überwachung und der vorsätzlichen Kriminalisierung ganzer Bevölkerungsschichten durch neue Copyrightgesetze oder Drogenverordnungen oder was auch immer. Natürlich kann und wird man nicht jeden verhaften, der sich ’ne CD brennt. Aber man könnte. Wenn einer nervt …«

»Und warum hamse dich dann noch nicht verhaftet?«, frage ich.

»Weil ich eben keine Spuren hinterlasse«, sagt das Känguru. »Ich bin unsichtbar!«

Ich verdrehe die Augen.

»Aber es ist doch völlig unmöglich, keine Spuren zu hinterlassen«, sage ich.



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